Synergien freisetzen: Bottom-up-Strategien für eine effektive Umsetzung des HDP-Nexus
Was ist der HDP-Nexus? Wie kann er von der Basis aus nach oben (‘bottom-up’) funktionieren und warum ist dies ein erstrebenswertes Ziel? Wo gibt es Überschneidungen mit den Zielen für nachhaltige Entwicklung (SDGs) der Vereinten Nationen? Und warum ist es wichtig, eine dekoloniale Perspektive einzunehmen?
Der HDP-Nexus unterstützt und orientiert sich an den Zielen "Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen" (SDG 16), "Partnerschaften zur Erreichung der Ziele" (SDG 17) und "Ungleichheit in und zwischen den Ländern verringern" (SDG 10). Der HDP trägt zur Erreichung dieser Ziele bei, indem er Konfliktursachen bekämpft, Resilienz fördert und nachhaltige Entwicklung in konfliktbetroffenen Regionen unterstützt. Darüber hinaus betont der HDP-Nexus die Zusammenarbeit und Partnerschaft zwischen verschiedenen Akteuren und Organisationen, wie es SDG 17 vorsieht.
Was ist der HDP-Nexus?
Der HDP-Nexus, der im Anschluss an den Weltgipfel für Humanitäre Hilfe 2016 ins Leben gerufen wurde, stellt einen neuen Ansatz für die Zusammenarbeit von UN-Organisationen mit nationalen und lokalen Regierungen und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) dar. Er betont die Zusammenarbeit zwischen humanitärer Hilfe, Entwicklung und Friedenskonsolidierung mit besonderem Fokus auf Bottom-up Ansätzen und gemeinsamen Konfliktanalysen. Die Relevanz des Nexus-Ansatzes ergibt sich aus der schweren Finanzierungskrise innerhalb des UN-Systems, der zunehmenden Komplexität und Dauer humanitärer Krisen und der Unzufriedenheit mit den traditionellen Hilfsstrukturen.
Ein wesentliches Ziel des HDP-Nexus-Ansatzes ist die Gebietsbezogenheit, d.h. die stärkere Einbindung lokaler Akteure in internationale Hilfsinitiativen und die deutliche Erhöhung der direkten Finanzierung lokaler Hilfsorganisationen, seien es staatliche oder nichtstaatliche Strukturen.
Aktuelle Studien des bicc zur Umsetzung des HDP-Nexus in Mali, Irak und Südsudan sowie eine globale Literaturanalyse zeigen jedoch, dass der HDP-Nexus-Ansatz seit 2016 nicht effektiv umgesetzt wurde. Auf der Grundlage von Studienergebnissen aus dem Irak, Mali und Südsudan stellten die bicc-Wissenschaftler:innen fest, dass der HDP-Nexus-Ansatz sein Versprechen einer Bottom-up-Implementierung bisher nicht eingelöst hat und in der Praxis vor allem Top-down umgesetzt wird und politische Sensibilitäten eine Umsetzung häufig verhindern (wie im Irak).
Darüber hinaus laufen die Bemühungen um eine gebietsbezogene Umsetzung der Hilfe Gefahr, bestehende Machtungleichgewichte zu reproduzieren, statt sie zu überwinden. Diese Analyse knüpft an eine dekoloniale Kritik am internationalen Hilfssystem an, die in jüngster Zeit unter (I)NGOs aus allen drei Bereichen — Humanitäre Hilfe, Entwicklungszusammenarbeit und Friedensförderung — aufgekommen ist. Die Kritik bezieht sich darauf, wie Machtungleichgewichte aus der kolonialen Vergangenheit zwischen dem Globalen Norden und dem Globalen Süden die humanitäre Hilfe bis heute prägen.
Die bicc Reports wenden diese dekoloniale Kritik auf die Debatte um den HDP-Nexus an und argumentieren, dass sich der HDP-Nexus für die Anwendung einer dekolonialen Perspektive eignet, um die politische Positionierung internationaler Akteure in ihren lokalen Kontexten, Machtungleichgewichte und potenziellen strukturellen Rassismus in allen drei Bereichen aufzudecken und zu untersuchen. Die bicc-Wissenschaftlerin Marie Müller-Koné betont: "Nur wenn sich solche Machtungleichgewichte in der täglichen Arbeit der Hilfsorganisationen widerspiegeln, können sie thematisiert und der Einfluss lokaler Akteure auf die Projektgestaltung erhöht werden”. In diesem Sinne werden INGOs ermutigt, ihre alltägliche Praxis auf solche Defizite hin zu überprüfen und Schritte zu unternehmen, um gleichberechtigte Partnerschaften mit lokalen Akteuren in Krisenkontexten zu fördern.
Das bicc-Projekt "How can the HDP Nexus Succeed?" untersucht die Bedingungen, unter denen der HDP-Nexus-Ansatz erfolgreich implementiert werden und versucht seine Wirkung auf lokale Konzepte von Konflikt, Konfliktlösung und Frieden und umgekehrt, um die Chancen und Herausforderungen der Integration von ‘Frieden’ in die humanitäre Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit zu verstehen. Das Projekt konzentriert sich auf die Erfahrungen und Perspektiven lokaler Gemeinschaften, bestehende Instrumente und Aktivitäten von (I)NGOs im Umgang mit dem HDP-Nexus im Irak, Südsudan und Mali. Es erkennt die Diskrepanz zwischen Konzepten des globalen Nordens und lokalen Perspektiven auf Konflikt, Konfliktlösung und Frieden an und plädiert für die Integration und Stärkung lokaler Verständnisse und Friedensinitiativen in HDP-Nexus-Projekten.
Der im HDP-Diskurs vorherrschende gebietsbezogene Ansatz ist begrenzt, da er lokalen Akteuren oft keinen Raum lässt, sich einzubringen und Prioritäten zu setzen. Damit der HDP-Ansatz funktioniert und Frieden von unten nach oben aufgebaut werden kann, müssen die Machtungleichgewichte zwischen Akteuren und Gemeinschaften im Globalen Norden und im Irak aus einer dekolonialen Perspektive betrachtet werden. Eine dekoloniale Perspektive hilft auch zu verstehen, warum Bottom-up-Ansätze in der Vergangenheit gescheitert sind. Machtungleichgewichte und struktureller Rassismus sind unter anderem Gründe dafür, dass finanzielle Mittel, die lokalen Akteuren zur Verfügung gestellt werden und ihre Handlungsmächtigkeit (agency) nach wie vor viel zu gering sind und erweitert werden müssen.
Der HDP-Nexus-Ansatz im Südsudan wurde von den Vereinten Nationen nach der Wiederbelebung des Friedensabkommens 2018 vorangetrieben. Ziel war es, Akteure und Aktivitäten der humanitären Hilfe, der Entwicklungszusammenarbeit und der Friedenskonsolidierung durch gemeinsam definierte Ziele, gemeinsame Analysen und Programmplanung besser zu koordinieren. Darüber hinaus sollte eine flexiblere und gebündelte Finanzierung gebietsbezogene Ansätze fördern. Bei der lokalen Verortung der Hilfe im Südsudan sind zwar einige Fortschritte zu verzeichnen, aber es gibt nach wie vor erhebliche Einschränkungen. Lokale und nationale NRO haben nach wie vor einen eingeschränkten Zugang zu Finanzmitteln und Entscheidungsbefugnissen, und die von ihnen gesetzten Prioritäten werden zum großen Teil nicht wahrgenommen und nicht berücksichtigt. Darüber hinaus gibt es nach wie vor nur wenige Initiativen unter lokaler oder gemeinschaftlicher Führung. Eine dekoloniale Perspektive macht deutlich, dass diese Machtungleichgewichte auf Vorstellungen von Kapazitäten und Rechenschaftspflicht beruhen, die nationale und lokale Akteure oft als unfähig und potenziell korrupt erscheinen lassen und Partnerschaften auf ungleichen Voraussetzungen aufbauen. Der HDP-Nexus erfordert nicht nur eine flexiblere Finanzierung durch die Geber und eine bessere Einbindung der Gemeinschaften, sondern auch eine Verschiebung der Prioritäten in den Visionen und die Anerkennung der Kapazitäten lokaler Akteure und Menschen.
Die Einführung des HDP-Nexus in Mali stieß auf großen Widerstand, da seine erste Umsetzung von Institutionen wie der französischen Armee und MINUSMA organisiert wurde, die von einem Großteil der malischen Bevölkerung als neokolonial wahrgenommen werden. Unsere Publikation zeigt jedoch auch, wie die Umsetzung des HDP-Ansatzes durch humanitäre Nicht-UN-Organisationen in enger Zusammenarbeit mit lokalen NGOs zu Verbesserungen in der Friedenskonsolidierung und Konfliktlösung führt und fordert Hilfsorganisationen auf, ihre eigenen Praktiken zu dekolonisieren, lokale Akteure einzubeziehen und Bottom-up-Prozesse zu priorisieren, um den HDP effektiv umzusetzen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Umsetzung eines Bottom-up-Ansatzes im Kontext des HDP innerhalb des bestehenden humanitären Rahmens erhebliche Herausforderungen mit sich bringt und ein Umdenken erfordert, um erfolgreich zu sein. Ohne den Nexus-Ansatz des HDP per se kritisieren zu wollen, lässt sich die Forderung nach einer Neuausrichtung wie folgt zusammenfassen: Durch die Einnahme einer dekolonialen Perspektive, die Machtungleichgewichte betont, bietet der HDP-Nexus die Möglichkeit, die politischen Positionen internationaler humanitärer Akteure in ihren lokalen Kontexten aufzudecken und zu reflektieren. Nur wenn diese Machtungleichgewichte in der alltäglichen humanitären Arbeit erkannt werden, können sie effektiv angegangen werden und eine stärkere Einbindung lokaler Akteure in die Gestaltung von Projektinitiativen ermöglichen.
Verfasser*in
bicc\ Bonn International Centre for Conflict Studies gGmbH
*Fotocredits: rawpixel.com