Feministische Entwicklungspolitik – warum wir einen feministischen Ansatz zur Umsetzung der 17 Ziele brauchen
Im Frühjahr 2022 kündigte Bundesentwicklungsministerin Svenja Schulze einen Paradigmenwechsel in der deutschen Entwicklungspolitik an: Das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) werde zukünftig eine feministische Entwicklungspolitik verfolgen. Was verstehen wir darunter?
Es geht darum, „die gleiche politische, wirtschaftliche und soziale Teilhabe aller Menschen, unabhängig von ihrem Geschlecht, von Geschlechtsidentität, von sexueller Orientierung“ zu erreichen. Diese Ambition der deutschen feministischen Entwicklungspolitik entspricht dem fünften Nachhaltigkeitsziel, das die Stärkung von Frauen und Mädchen und Geschlechtergerechtigkeit weltweit anstrebt.
Die Ankündigung des Ministeriums signalisiert auch, dass bisherige Bemühungen zur Erreichung der Geschlechtergerechtigkeit nicht ausreichen. Laut einem Bericht der Vereinten Nationen waren in Folge der Corona-Pandemie zuletzt sogar starke Rückschritte zu beobachten. Sollten die Maßnahmen zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit im gleichen Tempo fortgesetzt werden, wird es dem World Economic Forum zufolge daher noch 132 Jahre dauern, bis die Gleichstellung der Geschlechter erreicht ist. Geschlechtergerechtigkeit ist jedoch nicht nur ein Ziel in sich, sondern auch wesentlich für die Umsetzung anderer Nachhaltigkeitsziele. Während die feministische Entwicklungspolitik folglich einen wichtigen Schritt für die Agenda 2030 darstellt, gilt es jedoch zu klären, was ein feministischer Ansatz beinhaltet und wie sich die feministische Entwicklungspolitik von bisherigen Bemühungen zur Förderung der Geschlechtergerechtigkeit unterscheidet.
Mit der Ankündigung einer feministischen Entwicklungspolitik reiht sich Deutschland in eine wachsende Bewegung ein, die Geschlechtergerechtigkeit stärker in den Fokus nach außen gerichteter Politikbereiche rückt.
Staaten, die eine feministische Außen- oder Entwicklungspolitik verfolgen, teilen die Auffassung, dass bisherige Bemühungen nicht ausreichen. Obwohl die Förderung von Frauen und Mädchen schon vor der Agenda 2030 als wichtiges Ziel der internationalen Entwicklungszusammenarbeit galt, erwiesen sich bisherige Maßnahmen als unzureichend. Neben finanziellen und personellen Ressourcen mangelt es vor allem an gender-spezifischen Daten (beispielsweise zur Anzahl von Frauen, die Opfer sexueller Gewalt wurden), die eine Beobachtung des Umsetzungsprozesses ermöglichen. Entwicklungspolitische Maßnahmen, die sich explizit der Förderung von Frauen und Mädchen widmen, riskieren zudem, Identitäten, die andere oder zusätzliche Formen der Diskriminierung erfahren, zu vernachlässigen. Wir brauchen daher einen neuen und umfassenderen Ansatz, um Frauen, Mädchen und andere marginalisierte Gruppen zu stärken. Was macht den feministischen Ansatz aus?
Kernelemente der Feministischen Entwicklungspolitik
Erstens ist ein feministischer Ansatz menschenrechtsbasiert und inklusiv und versteht Gleichstellung als Menschenrecht. Eine solche Politik richtet sich daher nicht allein an Frauen und Mädchen. Vielmehr basiert sie auf einem breiten Verständnis von Gender, das neben Frauen und Mädchen auch Männer, Jungen, und andere Identitäten (LGBTQIA+) berücksichtigt und in ihren Ansatz einbezieht. Anders als frühere Ansätze zur Förderung von Frauen in der Entwicklungszusammenarbeit ist es wichtig, dass eine feministische Entwicklungspolitik das Konzept „Gender“ klar definiert und so binären Vorstellungen von Geschlechterrollen entgegenwirkt.
Eine feministische Entwicklungspolitik sollte, zweitens, einen intersektionalen Feminismus verfolgen. Der Begriff „intersectionality“ wurde von der US-Juristin Kimberlé Crenshaw geprägt und sensibilisiert für Mehrfachdiskriminierung indem er aufzeigt „wie verschiedene Formen der Ungleichheit oft zusammenwirken und sich gegenseitig verschärfen“. Insbesondere für die Entwicklungszusammenarbeit ist ein intersektionaler Feminismus wichtig, um zu erkennen, wie Frauen, Mädchen und andere Identitäten in verschiedenen kulturellen, sozialen und historisch geprägten Kontexten unterschiedliche Arten der Diskriminierung erfahren. Gruppen und Individuen, die Opfer von Mehrfachdiskriminierung sind, sind oft unzureichend repräsentiert und in Krisenzeiten besonders verwundbar. Sich dessen bewusst zu werden und verschiedene Identitäten entsprechend zu schützen und zu stärken, ist eine der zentralen Aufgabe einer feministischen Entwicklungspolitik.
Ein drittes Kernelement der feministischen Entwicklungspolitik ist ihr transformativer Anspruch. Ein feministischer Ansatz sollte über frühere Bemühungen hinausgehen, lediglich diskriminierte Gruppen innerhalb existierender Strukturen zu fördern. Vielmehr geht es darum, etablierte Machtverhältnisse zu erkennen und diese zu hinterfragen. Neben der Förderung von marginalisierten Identitäten erfordert dies, Machtstrukturen und soziale Normen zu ändern. Nicht alle Staaten, die einen feministischen Ansatz in ihren nach außen gerichteten Politiken verfolgen, haben einen gleichermaßen transformativen Anspruch. Dieser ist jedoch wichtig da die Charakterisierung einer Politik als feministisch impliziert, dass das Ziel der Geschlechtergerechtigkeit nicht innerhalb bestehender Strukturen verfolgt und umgesetzt werden kann, sondern dass es der gezielten Veränderung dieser Strukturen bedarf.
Gestaltung und Umsetzung der feministischen Entwicklungspolitik
Eine feministische Entwicklungspolitik basiert auf einer engen Einbindung der Zivilgesellschaft, insbesondere feministischer Organisationen aus Partnerländern des Globalen Südens. Eine Studie der Politikwissenschaftlerinnen Weldon und Htun belegt beispielsweise, dass starke feministische Bewegungen ein zentraler Faktor sind, um Gewalt gegen Frauen vor Ort zu bekämpfen. Um dem Anspruch eines inklusiven und intersektionalen Feminismus gerecht zu werden, ist es darüber hinaus wichtig, eine Vielfalt verschiedener Stimmen und Perspektiven, die sich mit den unterschiedlichen Lebensrealitäten und Herausforderungen in Partnerländern auskennen, in die Erarbeitung (und eventuelle) Umsetzung der Strategie einzubinden.
Will man feministische Entwicklungspolitik erfolgreich umsetzen, müssen zudem die Rechte von Frauen, Mädchen und anderen Identitäten gestärkt werden, finanzielle und personelle Ressourcen zur Umsetzung der Politik erhöht und die Repräsentation marginalisierter Gruppen auf allen politischen Ebenen verbessert werden.
Angesichts der zuletzt alarmierenden Rückschritte bei der Umsetzung von SDG 5, gilt es, „langfristig strukturelle Hindernisse für die Gleichstellung, einschließlich diskriminierender Normen, Gesetzen und Praktiken“ zu erkennen und abzubauen. Eine feministische Entwicklungspolitik ist ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung, um die Herausforderungen anzugehen.
Tu Du’s
Erkenne und hinterfrage Machtstrukturen und sozial konstruierte Rollenbilder.
Fördere und unterstützte Frauen, Mädchen und andere marginalisierte Identitäten in deinem Umfeld.
Verfasserin
Alma Wisskirchen ist Politikwissenschaftlerin und Wissenschaftliche Referentin des Direktorats am German Institute of Development and Sustainability (IDOS) in Bonn.