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Macht mehr Wohnraum glücklicher?

Hast du in der letzten Zeit nach einer neuen Wohnung gesucht? Wohnst du vielleicht in einer der Städte Deutschlands, die sich großer Beliebtheit erfreuen? Dann hast du vermutlich so einige Geschichten zu erzählen: Geschichten von Wohnungen in schlechtem Zustand, für die trotzdem eine hohe Miete veranschlagt wird. Geschichten von langen Schlangen bei Besichtigungen und dem Gefühl ohne akademischen Titel und hohes Einkommen keinerlei Chancen zu haben. Geschichten von der langen Suche auf Immobilienplattformen nach einer bezahlbaren Wohnung. Oder sogar Geschichten von Diskriminierung aufgrund deiner Hautfarbe, deines Namens oder der Tatsache, dass Deutsch nicht deine Muttersprache ist. Es wird zwar kaum helfen, aber mit diesem Problem bist du nicht alleine. In den meisten Städten Deutschlands ist der Wohnungsmarkt ein Anbietermarkt und für die Nachfragenden – also diejenigen auf der Suche nach dem Wohnraum. So entwickelt sich das Thema zu einer der wichtigsten sozialen Fragen unserer Zeit.

Gleichzeitig – und das ist sicherlich zumindest auf den ersten Blick paradox – steigt die individuelle Wohnfläche pro Kopf seit Jahrzehnten an; die Quadratmeter also, die jeder Person in einem Haushalt rein rechnerisch zur alleinigen Nutzung zur Verfügung stehen. Derzeit leben Menschen in Deutschland auf durchschnittlich 47 m2 pro Person; vor 20 Jahren waren es noch 35 m2 pro Person.1 Dabei ist der vorhandene Wohnraum in Deutschland sehr ungleich verteilt: Während einige Kommunen mit Wegzug und Leerstand zu kämpfen haben, wachsen andere umso schneller. Vor allem aber wird unsere Gesellschaft nicht nur älter, sie lebt seit einigen Jahrzehnten auch zunehmend individualisiert: 2019 bestanden ca. 75 % der Haushalte in Deutschland aus ein oder zwei Personen, 2000 waren es noch ca. 69 %.2 Unsere baulichen Strukturen haben sich dem allerdings noch nicht angepasst: Selbst in Berlin, dem Stadtstaat mit dem größten Anteil an Wohnungen mit 1 bis 2 Zimmern sind es lediglich 22 % aller Wohnungen.3 75 % gegenüber 22 % – kein Wunder, dass die Wohnfläche pro Kopf steigt und mit ihr der individuelle Energieverbrauch für das Beheizen der Wohnung, was letztlich die technischen Effizienzgewinne der Energiewende ausbremst.4

Die ökologische und soziale Relevanz von steigenden Wohnflächen bei knapper werdendem Angebot an Wohnungen ist eindeutig und die Konsequenz daraus ist, dass wir über die Verteilung des bestehenden Wohnraums ganz neu nachdenken müssen. Das Ziel ist Suffizienz: Es geht darum, Menschen ein Leben auf ausreichend Fläche und in angemessenem Wohnraum zu ermöglichen. Die Suche nach der Balance ist jedoch nicht einfach: Wo fängt zu “viel an” und wo hört “zu wenig” auf? Und was bedeutet eigentlich “angemessen”? Die Antworten darauf sind so individuell wie die Menschen selbst und deswegen haben wir uns zunächst einmal gefragt, wie wichtig die Wohnfläche für unsere Zufriedenheit ist. Brauchen wir wirklich 47 m2 und mehr pro Person, um in einer Wohnung glücklich zu sein? Und muss die Wohnfläche eigentlich mit dem Alter steigen? Bisher gibt es dazu wenig Forschung, aber als Wissenschaftlerinnen am Wuppertal Institut wollten wir es natürlich genauer wissen. Wir haben im vergangenen Jahr Menschen in ganz Deutschland zu ihrer Wohnsituation und ihren Wohnvorstellungen befragt. Rund 2.500 Personen haben geantwortet und uns einen Einblick ermöglicht. Und ja, die Wohnungsgröße spielt tatsächlich eine Rolle, aber sie ist nicht allein entscheidend.

Grafik zu Wohnzufriedenheit nach Pro-Kopf-Wohnfläche © Wuppertal Institut

Doch beginnen wir am Anfang: 2.500 Befragte sind natürlich nicht repräsentativ für die gesamte Bevölkerung Deutschlands. Das war auch gar nicht das Ziel unserer Umfrage. Vielmehr wollten wir unsere Arbeitshypothesen schärfen. Besonders interessant war für uns, die Wohnzufriedenheit der befragten Personen in ein Verhältnis zur Wohnfläche pro Kopf zu setzen. Das Ergebnis zeigt im Großen und Ganzen sehr deutlich: Je mehr individuelle Wohnfläche einer befragten Person zusteht, desto zufriedener ist sie mit ihrer Wohnsituation. Ist damit also die Idee des suffizienten Wohnens gestorben? Mitnichten! Denn: Einerseits haben wir überrascht festgestellt, dass der Anteil der Befragten, die eher unzufrieden bzw. sehr unzufrieden mit ihrer Wohnsituation sind, ab einer Pro-Kopf-Wohnfläche von 61 m2 und mehr plötzlich wieder steigt. Kann also zu viel Platz auch unglücklich machen? In Bezug auf Einkommen wird dieses Phänomen schon seit langem kontrovers diskutiert. Wir glauben daher, dass es sich lohnt, auch beim Thema Wohnen in Zukunft noch genauer hinzuschauen. Und andererseits haben 31 % der Befragten angegeben, sich einen Umzug in eine kleinere Wohnung vorstellen zu können; 51 % können sich sogar gemeinschaftliches Wohnen vorstellen. Das sind starke Indizien dafür, dass wir in diese Richtung weiter forschen müssen. Und vielleicht auch unseren Wohnraum auf den Prüfstand stellen und überlegen: Wie viel Fläche brauche ich eigentlich für mein Wohnglück?

Ihr wollt mehr über das Thema erfahren und darüber, wie wir dem Problem begegnen wollen? Besucht doch unsere Projektwebsite www.wohnen-optimieren.de. Dort findet ihr auch den vollständigen Bericht zu unserer Umfrage mit vielen weiteren Ergebnissen.

 

1 Statistisches Bundesamt (2020): Wohnfläche je Einwohner in Wohnungen in Deutschland bis 2019 (in Quadratmetern); letzter Abruf 27.07.2021.

2 Eigene Berechnung basierend auf Statistisches Bundesamt (2020): Anzahl der Haushalte in Deutschland nach Anzahl der Personen im Haushalt von 2000 bis 2019 (in 1.000); letzter Abruf: 27.07.2021.

3 Nicht mitgezählt werden hier Flure, Bäder und Toiletten sowie Wirtschaftsräume. Eigene Berechnung basierend auf: Statistisches Bundesamt (2020): Anzahl der Wohnungen in Deutschland nach Bundesländern und Anzahl der Räume im Jahr 2019 (Stand: 31. Dezember); letzter Abruf: 27.07.2021.

4 Bierwirth, Anja (2015): Strategische Entwicklung eines zukunftsfähigen Wohnraumangebots; ursprünglich veröffentlicht in: uwf UmweltWirtschaftsForum, 2015, Jg. 23, Nr. 1-2, S. 49-58.

Verfasserinnen

Michaela Roelfes, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wuppertal Institut

Lena Peter, wissenschaftliche Hilfskraft am Wuppertal Institut

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von Engagement Global - #17Ziele