Aufrüstung der Bundeswehr
Bedarfsorientierte Sicherheitspolitik für friedliche und nachhaltige Entwicklung
Mit dem Beschluss der Bundesregierung im Jahr 2022 ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Ausrüstung der Bundeswehr zur Verfügung zu stellen und in den folgenden Jahren mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) in die Verteidigung zu investieren stellt sich die Frage, welche Konsequenzen dies in anderen Bereichen haben wird. Worin die Gefahren einer solchen Politik mit Blick auf eine nachhaltige Entwicklung der deutschen und der internationalen Gemeinschaft liegen, erfahren Sie in diesem Blogbeitrag.
Angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine ist es ein politisch nachvollziehbarer Schritt, die Fähigkeiten zur Verteidigung zu erhöhen und dies auch gegenüber Russland, den NATO-Partnern, wie auch der deutschen Bevölkerung zu signalisieren. Deutschland investiert jedoch bereits viel Geld in sein Militär. Innerhalb der letzten 20 Jahre hat es seine Militärausgaben auf über 50 Milliarden US-Dollar im Jahr 2020 verdoppelt und liegt damit in absoluten Zahlen sogar knapp vor der Nuklearmacht Frankreich.2 Wenn die Bundeswehr zur Erfüllung ihres Verteidigungsauftrags zu schlecht ausgestattet ist, kann dies nicht in erster Linie am Geld liegen. Die angekündigte Erhöhung der Mittel wird dieses Problem folglich auch nicht unbedingt lösen.
Vielmehr sollte eine Fokussierung auf das Aufgabenprofil der Bundeswehr und das dafür nötige Fähigkeitsspektrum den Ausgangspunkt für eine klare Bedarfsplanung in Abstimmung mit den Bündnispartnern bilden. Das gilt insbesondere deshalb, weil die Erhöhungen im angedachten Ausmaß eine Reihe von Problemen aufwerfen, die bislang wenig Beachtung gefunden haben.
Friedenssicherung durch Rüstungskontrolle
Es besteht die Gefahr, dass eine massive Erhöhung der Militärausgaben (von Deutschland und weiteren NATO Staaten) das globale Aufrüsten, das wir schon seit Jahren beobachten, weiter vorantreibt. Diese Rüstungsdynamik steht dem SDG 16 (Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen) entgegen: Die Eindämmung des internationalen Waffenhandels trägt zur Prävention von Konflikten bei – die Basis, um friedliche und inklusive Gesellschaften nachhaltig zu fördern.3
Auch wenn es mit der gegenwärtigen russischen Führung keine gemeinsame Vertrauensbasis für Abrüstung gibt, müssen wir heute die rüstungskontrollpolitischen Konzepte für morgen entwickeln, um den Trend des Anstiegs der weltweiten Militärausgaben wieder zu stoppen und umzukehren. Um die militärische Sicherheit für alle Parteien mittel- bis langfristig zu erhöhen, muss zwingend das klassische sicherheitspolitische Instrument der Rüstungskontrolle zur Anwendung kommen. Denn auch die Beziehungen zwischen sicherheitspolitischen Rivalen sind nie rein konfrontativer Natur. Es gibt immer auch gemeinsame Interessen. Im Zeitalter nuklearer Waffen ist dies insbesondere die Vermeidung eines Nuklearkrieges. Der Ausbruch eines solchen Krieges wäre eine Katastrophe für die Menschheit und würde sämtliche Nachhaltigkeitsbemühungen in allen betroffenen Gebieten langfristig zerstören.
Die Förderung von Nachhaltigkeit bedeutet Investitionen in Milliardenhöhe
Aktuelle Probleme wie der Klimawandel oder die Corona-Pandemie haben zudem gezeigt, dass menschliche Sicherheit mehrdimensional verstanden werden muss und nur kollaborativ mit anderen Staaten erreicht werden kann. Wie Finanzminister Christian Lindner ausführte, sind die Mittel des Sondervermögens kein Vermögen im eigentlichen Sinne, sondern vielmehr eine Leihe aus der Zukunft. Eine Leihe, die mittel- und langfristig schnell eine schwere Bürde werden kann, da wichtige Investitionen in erneuerbare Energien, für das Gesundheitssystem und zur Katastrophenvorsorge automatisch geringer ausfallen werden.
Mit der Verengung des Sicherheitsverständnisses und dem damit einhergehende Fokus auf Investitionen ins Militär besteht dementsprechend die Gefahr, dass damit Ressourcen gebunden werden, die wir dringend für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft brauchen. Mit Blick auf die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele SDG 3 (Gesundheit und Wohlergehen), SDG 7 (Bezahlbare und erneuerbare Energien) und SDG 13 (Maßnahmen zum Klimaschutz) bleiben die Herausforderungen groß:
Bis 2030 fehlt voraussichtlich einem Drittel der Weltbevölkerung eine essenzielle Gesundheitsversorgung, die Lage hat sich durch die Corona-Pandemie noch verschärft.4 Deutschland engagiert sich vor allem in Afrika und Asien für die Gesundheitsversorgung und stellt jährlich über eine Milliarde Euro zur Verfügung und ist damit einer der größten Mittelgeber in diesem Bereich.5
Mit Blick auf das SDG 13 ist die internationale Gemeinschaft „immer noch weit von dem Ziel des Übereinkommens von Paris entfernt, die Erderwärmung auf 1,5 °C über dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen und bis 2050 weltweit CO2-Neutralität zu erreichen.“6 Im Rahmen der Weltklimakonferenz (COP 26) in Glasgow 2021 zeigte sich, dass die derzeitigen Klimaschutzbeiträge der Unterzeichnerstaaten des Pariser Abkommens bei Weitem nicht ausreichen, um das 1,5 °C-Ziel zu erreichen und die globale Erwärmung bei Umsetzung der aktuellen Pläne sogar bei 2,7 °C liegen würde.7 Auch der Ausbau erneuerbarer Energien verläuft weltweit nicht schnell genug, um die Klimaziele zu erreichen.8 Umfangreiche Investitionen in Klimaschutzmaßnahmen, die Gewinnung erneuerbare Energien und die Dekarbonisierung der Wirtschaft sind folglich unabdingbar – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene.
Laut einer KfW-Studie aus 2021 kostet allein Deutschland die bis 2045 angestrebte Klimaneutralität rund 5 Billionen Euro – jährlich müssten durchschnittlich 191 Milliarden Euro (5,2% des BIP) in Klimaschutzmaßnahmen investiert werden.9 Die Bundesregierung hat angekündigt, bis 2026 insgesamt rund 200 Milliarden Euro in den Klimaschutz zu investieren.10 Es ist jedoch fraglich, ob die geplanten Mittel ausreichen, um das Ziel der Klimaneutralität zu erreichen.
Vor diesem Hintergrund stellt die bedingungslose Festlegung auf eine Untergrenze für Militärausgaben, wie sie das Zwei Prozent-Ziel darstellt, eine Gefahr für nachhaltige Entwicklung – nicht nur in Deutschland - dar. Stattdessen ist eine bedarfsorientierte Planung geboten, die zumindest mittelfristig von einem Bemühen um Rüstungskontrolle flankiert wird und Spielräume für Investitionen zur Erreichung der SDGs lässt.
1 Der vorliegende Blogbeitrag basiert auf einer Greenpeace-Kurzstudie von Dr. Markus Bayer und Dr. Max Mutschler. Sie ist unter dem Originaltitel „Aufrüstung der Bundeswehr. Bedarfsorientierte Sicherheitspolitik oder Zwei-Prozent-Fetischismus“ erschienen und abrufbar unter: https://www.greenpeace.de/publikationen/neu_s03891_gp_aufruestung_kurzstudie_03_22.pdf
2 Einen genaueren Überblick zu den Zahlen finden Sie in der vollständigen Kurzstudie: https://www.greenpeace.de/publikationen/neu_s03891_gp_aufruestung_kurzstudie_03_22.pdf
3 Vgl. https://www.bmz.de/de/agenda-2030/sdg-16#anc=Was
4 Vgl. https://www.bmz.de/de/agenda-2030/sdg-3
5 Vgl. https://www.bmz.de/de/agenda-2030/sdg-3
6 Ziele für nachhaltige Entwicklung. Bericht 2021, S. 52, abrufbar unter: https://www.bmz.de/de/agenda-2030/sdg-13#anc=Zahlen
7 Vgl. https://www.zdf.de/nachrichten/politik/unep-bericht-klimaschutz-plaene-co2-ausstoss-100.html
8 Vgl. https://www.energiezukunft.eu/wirtschaft/mehr-erneuerbare-braucht-die-welt/
9 Vgl. https://www.kfw.de/%C3%9Cber-die-KfW/Newsroom/Aktuelles/Pressemitteilungen-Details_673344.html
Verfasser
Dr. Markus Bayer, Senior Researcher am BICC
Dr. Max Mutschler, Senior Researcher am BICC